„Die Entwicklung ist übertrieben“ Interview mit Oliver Roth

 

 

Börsenexperte Oliver Roth: Wer sein Erspartes solide

anlegen will, sollte mit dem Einstieg warten

 

Der Deutsche Aktienindex (Dax) hat sein Potential weitgehend ausgereizt, warnt Börsenhändler und Ex-Fußball-Profi Oliver Roth. Angesichts des Allzeithochs von 9000-Punkten warnt er vor Rückschlägen.

Der Dax hat in diesem Jahr 23 Prozent gewonnen, seit Anfang 2012 sogar 50 Prozent. Hatten Sie eine solche Entwicklung erwartet?  

 Artikelbild: Börsenhändler Oliver Roth: Wer sein Erspartes solide anlegen will, sollte mit dem Einstieg warten

OLIVER ROTH: Die Börsenkurse werden von zwei Faktoren bestimmt: Von der Lage bei den Unternehmen und von Fantasie im Blick auf Kursziele. Deshalb ist die Geldpolitik derzeit ein entscheidender Faktor. Solange die Zinsen so niedrig sind wie derzeit, gibt es viel Geld auf der Suche nach Anlagechancen. Das heißt: Die Kurse werden derzeit zu einem erheblichen Maß auch von Spekulation getrieben.

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Weder Euro-Schuldenkrise noch die Probleme in den USA oder die Abkühlung in den Schwellenländern bremst. Warum?

ROTH: Das spielt derzeit keine Rolle für den Großteil der Anleger. Die Notenbanken haben die Probleme sozusagen weggeschwemmt. Aber wenn man die aktuellen Probleme in den Schwellenländern sieht, wenn man berücksichtigt, dass die Konjunktur in Europa zwar besser läuft, aber weit von einem Boom entfernt ist, und dass auch das Wachstum in den USA eher moderat ist, ganz abgesehen von den nur verschobenen Haushalts- und Schuldenproblemen, dann gibt es eigentlich keinen Grund für die derzeitige Hausse. Also sind wir wieder beim billigen Geld der Notenbanken.

Und wenn die Notenbanken die Zügel wieder anziehen?

ROTH: Dann könnten Anleihen wieder interessanter werden und dem Aktienmarkt deutlich an Schwung nehmen.

Manche haben sogar schon 10 000 Punkte auf dem Schirm, andere sind sicher, dass der Dax auf lange Sicht sogar auf 20 000 Zähler zugeht. Sind das Hirngespinste?

ROTH: Die Entwicklung ist aus meiner Sicht schon jetzt übertrieben. Aktien sind nicht mehr billig. Wir sind sicher in der Endphase der Hausse, die länger anhält als auch ich erwartet habe. Es kann auch noch mal ein deutliches Stück nach oben gehen, auch bis auf 10 000 Punkte. Aber in zwei, drei Jahren sprechen wir über ein Niveau, das deutlich niedriger liegt.

Also haben wir eine Blase?

ROTH: Blase würde ich es nicht nennen. Aber die Entwicklung ist übertrieben.

Aber die Notenbanken lassen nicht erkennen, dass sie demnächst die Zinsen erhöhen. Möglicherweise bleiben sie noch zwei Jahre so niedrig.

ROTH: Das stimmt und das spricht im Prinzip für Aktien. Andererseits ist keine Inflation zu erwarten, was ebenfalls für Aktien sprechen würde. Die Banken sind immer noch nicht wieder stabil und geben deshalb ungern Kredite heraus. Das viele Geld kommt also nicht in der Realwirtschaft an. Aus dieser Richtung kommt kein Preisdruck, der im Prinzip für Aktien sprechen würde. Die Notenbanken überlegen schon, wie sie aus der Null-Zins-Politik herauskommen. Zieht die US-Notenbank die Geldschraube an, reagiert die EZB spätestens sechs Monate danach. Geht es mit den Zinsen schnell nach oben, wird das die Börse treffen, möglicherweise sehr hart. Genauso wie neuerliche Probleme in Schwellenländern.

Die deutschen Unternehmen stehen besser da als vor der Krise 2008 und auch besser als in früheren Börsen-Blasen. Ganz zu schweigen von den Zeiten am Neuen Markt.

ROTH: Stimmt. Aber der Blick allein auf deutsche Unternehmen genügt nicht. Die Welt, zumal die Finanzmärkte, sind heute so stark vernetzt und damit voneinander abhängig wie nie zuvor. Aber wenn es in China, Russland oder Brasilien Turbulenzen gibt und sich Kapitalströme verändern, dann hat das auch Auswirkungen bei uns. Da nützt es dann wenig, wenn deutsche Unternehmen gut gewirtschaftet haben.

Aber die Umsätze an der Börse sind derzeit niedrig, anders als etwa vor dem Crash im Jahr 2000. Spricht das nicht für eine stabile Entwicklung?

ROTH: Die Umsätze sind durchschnittlich. Bei 9000 Punkten im Dax wäre eher zu erwarten, dass sie deutlich höher sind. Aber wir haben keine Euphorie. Viele Privatanleger sind nicht an der Börse. Die beiden Crashs des vergangenen Jahrzehnts wirken immer noch nach. Auch Fonds halten sich zurück, zum Teil dürfen sie keine Aktien kaufen. Lebensversicherungen verzichten oder müssen auf Aktien verzichten. Es kaufen derzeit nur Anleger, die immer kaufen. Neue Investoren, ob professionelle oder private, sind rar.

Ist es für Privatanleger noch ratsam, an der Börse einzusteigen?

ROTH: Wer Spekulation liebt und das dafür notwendige Kleingeld hat – warum nicht? Wer sein Erspartes solide anlegen will, sollte eher warten oder nur mit einem langfristigen Horizont investieren. Es werden in den nächsten Jahren günstigere Kaufgelegenheiten kommen, weil der Dax dann bei vielleicht 6000 Punkten steht. Prinzipiell aber sind Aktien auf lange Sicht die beste Anlageform, das heißt über 20 Jahre und länger. Die Ausschläge sind heute extremer als in der Vergangenheit. Über zehn Jahre kann man durchaus auch Geld verlieren. Auf längere Sicht dürfte der Dax von 9000 Punkten aus kaum keine größeren Sprünge machen.

Werden Sie im Freundes- und Bekanntenkreis auf Aktien angesprochen? Geben Sie Tipps?

ROTH: Nein. Es ist nichts zu spüren von der Euphorie oder der fast schon blinden Kaufwut der Anleger wie etwa zur Jahrtausendwende. Das wäre auch ein klares Warnsignal. Wenn das so wäre, hätten sich professionelle Investoren schon längst wieder von der Börse verabschiedet. Das ist andererseits ein fast beruhigendes Zeichen und ein Hinweis, dass es mit den Kursen erst einmal noch einige Zeit weiter nach oben gehen könnte.

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